
Niemand weiß genau, wie viele Mammuts im Permafrostboden Sibiriens tiefgefroren sind. Es mögen Tausende sein. Vier Millionen Jahre lang beherrschten die zotteligen Riesen das Festland, bis sie vor 4000 Jahren plötzlich von der Bildfläche verschwanden. Um der Lösung dieses Rätsels näherzukommen, werden im Sommer russische Forscher einem der Tiefkühl-Mammuts Weichteil-Gewebe entnehmen und es nach Japan schicken: zu Professor Akira Iritani von der Universität Kyoto. Der wird daraus Zellen extrahieren und deren Erbgut in die entkernte Eizelle einer verstorbenen Elefantenkuh einsetzen. Dann wird dieses befruchtete Ei einer lebenden Elefantenkuh als Leihmutter implantiert. Nach zwei Jahren Tragzeit soll ein Mammut-Junges zur Welt kommen – ein Klon desjenigen, das im ewigen Eis Sibiriens gelegen hat.
Das Studium dieses Tieres könnte Antworten auf eine große Frage der Menschheit geben: Wie kommt es zum Aussterben ganzer Arten, und wie kann man ihm möglicherweise vorbeugen? Im Kleinen waren japanische Forscher mit diesem Experiment bereits erfolgreich. Es gelang ihnen, vor 16 Jahren gestorbene und eingefrorene Mäuse zu klonen. Experte Iritani: »Falls uns dies auch beim Mammut gelingt, werden wir die Lebensbedingungen und die Gene dieser Tiere studieren können und vielleicht verstehen, was mit ihnen geschehen ist.« »Jurassic Parc Syndrom« nennen Paläontologen den Ehrgeiz, ausgestorbene Arten zu reanimieren. Die Paläontologie – die Wissenschaft von den Lebewesen vergangener Erdzeitalter – hat in mühevoller Kleinarbeit bereits vieles zutage gefördert, was vor der Evolutionstheorie Darwins niemand zu denken gewagt hätte. Ihre Verdienste um das Wissen über die Erdgeschichte sind immens und unbestritten.
Aber jetzt müssen sich auch die Fossilien-Forscher der Frage stellen, ob die Erde vielleicht am Beginn einer zweiten Schöpfungsgeschichte steht – eine Vorstellung, die viele von ihnen schaudern lässt. 1,4 Millionen Tierarten leben heute auf unseren Planeten, darunter eine Million Insekten- und 4630 Säugetierarten. Manche sind schon lange dabei: die Haie zum Beispiel rund 450 Millionen, die Eintagsfliegen 200 Millionen Jahre. Seit ihrer Entstehung vor 4,6 Milliarden Jahren hat die Erde schätzungsweise zehn bis 50 Millionen Tierarten hervorgebracht, 99 Prozent davon gibt es nicht mehr.
Etwa 200 000 ausgestorbene Arten sind den Paläontologen bekannt, die meisten davon durch Überreste und Versteinerungen – einige wenige als »lebende Fossilien«. Eigentlich ist der Begriff lebendes Fossil ein Paradox, denn ein Fossil ist eine Versteinerung. Gemeint sind stattdessen Arten, die sich seit Jahrmillionen wenig verändert haben und von denen es sowohl fossile Funde als auch lebende Exemplare gibt. Haben sie früher weite Teile der Erde besiedelt, so finden sich lebende Fossilien heute auf engem Raum, meistens in Gebieten ohne natürliche Feinde und mit über Jahrtausende geringen Klimaveränderungen. Diese Überlebenden vergangener Erdzeitalter sind das Schaufenster in längst versunkene Welten. Die meisten Arten überstehen nur wenige Millionen Jahre – lebende Fossilien übertreffen das bei Weitem. Sie zu studieren könnte der Menschheit Aufschluss gebenüber das Geheimnis der Evolution, über ihr Tempo und über ihr Ende. Das »Jurassic Park Syndrom« könnte das Wissen um die letzten Geheimnisse der Evolution rapide beschleunigen.
(Quelle P.M.)
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